Ein Impulspapier des Netzwerks feministische Perspektiven und Interventionen gegen die (extreme) Rechte, kurz: femPI und des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus.
Als Mitglieder der Netzwerke arbeiten wir in vielfältiger Weise aus einer feministischen Perspektive in verschiedenen Handlungsfeldern zu Themen wie Geschlecht und (extreme) Rechte, Antifeminismus und deren jeweiligen Verschränkungen mit anderen Ideologien wie Rassismus oder Antisemitismus. Wir sind unter anderem in der Forschung, der politischen Bildung, der schulischen und hochschulischen Lehre, der Beratung und aktivistisch tätig. Aus diesen Erfahrungen speisen sich unsere Debatten und Ansätze.
Beobachtungen aus dem (Arbeits-)Alltag
In jüngster Zeit wurde Antifeminismus zunehmend thematisiert und seine Gefahren hervorgehoben. Dies ging auch zurück auf rechte Anschläge wie 2011 Oslo/Utøya (Norwegen) und 2019 in Christchurch (Neuseeland) und Halle/Saale (Deutschland), die sowohl antisemitisch, rassistisch als auch antifeministisch motiviert und je von der Verschwörungserzählung eines vermeintlichen „Großen Austauschs“ geprägt waren.1 Durch die Attentate rückte Antifeminismus in den Fokus und die bisherige fachliche Debatte intensivierte sich. Diese wissenschaftliche, bildungspolitische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den (tödlichen) Dimensionen des rechtsterroristischen Antifeminismus begrüßen wir und begleiten sie mit eigenen Beiträgen.
Dabei beschäftigt uns sowohl aus einer wissenschaftlichen, aktivistischen als auch bildungspolitischen Perspektive die Frage der begrifflichen Schärfe von Antifeminismus und seiner Abgrenzung zu Sexismus und Frauenhass/Misogynie. Wir beobachten bei Vorträgen, Workshops oder Gesprächen mit Kolleg_innen2 die synonyme Verwendung der verschiedenen Begriffe. Die genannten Phänomene sind eng miteinander verschränkt und teils aufeinander aufbauend, dennoch erfüllen sie nicht die gleichen Charakteristika. Durch die Gleichsetzung der verschiedenen Phänomene werden wichtige Unterschiede verkannt und es entsteht die Gefahr inhaltlicher Verwässerungen. Wir plädieren daher für eine analytische Trennschärfe bei gleichzeitigem Wissen, um die jeweiligen Unschärfen und Verwobenheiten der Begriffe.
Mit diesem Impulspapier wollen wir zur Einordnung von Antifeminismus in Abgrenzung und Verschränkung zu Sexismus und Misogynie/Frauenhass beitragen. Wir unterbreiten ein Verständnisangebot von Antifeminismus, das zu weiteren Gedanken und Diskussionen anregen kann und laden ausdrücklich zum Weiterdenken unserer Überlegungen ein.
Antifeminismus als Ideologie betrachtet
Antifeminismus begreifen wir als eine Weltanschauung, eine Ideologie,
„der es um die Gegnerschaft zu […] Prozessen der gesellschaftspolitischen Liberalisierung und Entnormierung von Geschlechterverhältnissen geht sowie um die Aufrechterhaltung heteronormativer Herrschaftsverhältnisse“ (Lang/Fritzsche 2018: 340).
Eine Ideologie oder auch Weltanschauung verstehen wir als eine in sich geschlossene Konstruktion von Werten und Ansichten, die miteinander verschränkt sind. Ideologien liefern grundlegende Überzeugungen und Erklärungen, wie die Gesellschaft zu verstehen ist und welche Rolle einzelne Personen darin spielen.

Die Betrachtung von Antifeminismus sehen wir in Teilen analog zur Debatte um Rechtsextremismus. Lange Zeit wurde dieser vor allem auf der Handlungs- und Akteursebene betrachtet. Erst Anfang der 1980er Jahre fanden Untersuchungen der Einstellungsebene Einzug in die Forschung (vgl. Kiess/Decker/Brähler 2015).Unter diesem erweiterten Blick möchten wir auch den Phänomenbereich Antifeminismus greifen. Im Eisberg-Modell der Mitte-Studie3 sind es extrem rechte Einstellungen/Handeln, teils auch unbewusst, die die Grundlagen bieten für klar identifizierbare AkteurInnen mit einer eigenen Strategie. Diese Beobachtung der sichtbaren Spitze des Eisbergs lässt sich auf den Phänomenbereich Antifeminismus übertragen (hierzu wurde bereits ausführlich gearbeitet: bspw. Frey et al. 2014: 17-19, Lang/Peters 2018: 18; Blum 2019).
In der Kürze des Impulspapiers konzentrieren wir uns auf die Betrachtung des ideologischen Zusammenspiels von Einstellungen, da sie für unser Vorhaben der begrifflichen Einordnung relevant sind. Aus der antifeministischen Ideologie resultieren konkrete Handlungen, Praxen und Akteurskonstellationen, die wiederum in ihrem Wirken und ihren Strukturen analysiert werden müssen.
Antifeminismus – eine bildhafte Erklärung
Im Laufe unserer Begriffsdiskussion formte sich ein Bild in unseren Köpfen, mit dem wir das komplexe Gebilde „Antifeminismus“ zu greifen versuchten und eine Einordnung wie auch Differenzierung abbilden konnten. Das gezeichnete Bild beinhaltet erste Gedanken und wir laden ausdrücklich zum Weiterdenken und Präzisieren ein.4
Zur Strukturierung unserer Gedanken nutzen wir das Bild eines Baumes – die Krone, die Äste und Verzweigungen, der Stamm und seine feste Verwurzelung im Boden.

(Nähr)boden: Wir betrachten den Boden, in dem der Baum seine Wurzeln schlägt als Glaubenssystem. Das Glaubenssystem beruht auf der Vorstellung einer vermeintlich natürlichen Ordnung der Gesellschaft, bzw. vielmehr auf einer natürlichen Ungleichheit von Menschen, die sich entlang verschiedener Strukturkategorien (wie beispielsweise Geschlecht, Ethnizität etc.) organisiert.5
Stamm: Im Fall von Antifeminismus wird die Kategorie Geschlecht und eine vermeintlich natürliche geschlechtliche Ordnung, das Patriarchat, zugrunde gelegt. Die Angst vor einer Verunsicherung dieser vermeintlichen Natürlichkeit und der Wunsch, diese aufrechtzuerhalten, können als Handlungsmotive für Antifeminismus verstanden werden.
Tragende Äste: Daraus resultieren unterschiedliche, sich aber eindeutig aufeinander beziehende Ideologiefragmente, die auch eigenständig Ideologie sein können wie (Hetero)Sexismus, Misogynie/Frauenhass, Familismus6, die Gegner_innnenschaft zu reproduktiver, sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung und Gerechtigkeit sowie Queer- und Transfeindlichkeit.7 Sie alle erwachsen aus dem Stamm – dem patriarchalen Herrschaftsverhältnis. Die Abwertung von Frauen bspw. ist hierin bereits angelegt und nimmt im Ast „Frauenhass/Misogynie“ eine radikale und zugespitzte Form an. Auch verschwörungsideologische Elemente sind Bestandteil von antifeministischem Denken. So ist die Vorstellung „der“ Feminismus sei allmächtig, ein zentraler Ast. In Verbindung mit rassistischen und antisemitischen Diskursen wird „dem“ Feminismus zudem eine tragende Rolle in dem vermeintlich stattfindenden Bevölkerungsaustausch zugeschrieben.
Zweige: Aus den tragenden Ästen des Baumes erwachsen feinere Zweige, die sich in weitere Auswüchse aufgliedern. Um nur einige Beispiele zu benennen: Hate Speech, die sich oftmals gegen feministische und queere Personen richtet; Mobilisierungen und Proteste gegen Bildungspläne, die die Akzeptanz sexueller Vielfalt zum Ziel haben; der Kampf gegen die Umsetzung von geschlechtergerechter Sprache; das Blockieren und Verhindern rechtlicher Verbesserungen beispielsweise in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehe, Adoptionsrecht, Diskriminierungsschutz.
Baumkrone: In ihrem Zusammenspiel bilden die verschiedenen Dimensionen/tragenden Äste das Dach des Baumes und bestimmen die Form und den Umfang der Baumkrone Antifeminismus. Jedes der genannten Phänomene kann dabei für sich stehen, die Baumkrone kann jedoch nicht ohne die tragenden Äste bestehen.
Mit der Zeit und politischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen erwachsen im Laufe der Jahre neue tragende Äste, andere werden wiederum morsch und verlieren ihre stützende Funktion. Historisch betrachtet erschütterte bspw. der Kampf um das Wahlrecht für Frauen männliche und weibliche Geschlechterrollen und -vorstellungen sowie die hierarchische Geschlechterordnung. Heute sind antifeministische Stimmen, die die Abschaffung des Wahlrechts für Frauen propagieren, leiser geworden. In den letzten Jahren und in Reaktion auf sich wandelnde feministische Positionen kommt der im Antifeminismus zentralen Vorstellung von Biologie und Natur von Geschlecht und Zweigeschlechtlichkeit eine besondere Bedeutung zu. Dies zeigt sich insbesondere in Mobilisierungen gegen Konzepte rund um das in den Debatten polemisch aufgeladene und als Kampfbegriff verwendete Gender. Hierin setzt sich der Kampf gegen die vermeintliche „Widernatürlichkeit“ moderner und vom Feminismus mitgeprägter Gesellschaften fort.
In diesem Bild verbleibend, halten wir die häufig geäußerte Überlegung, „wenn ‚der‘ Feminismus sich mehr zurückhalte, würde auch der Antifeminismus abnehmen“ für falsch. An der ein oder anderen Stelle wäre der Baum möglicherweise karger, doch der Hoffnung, der Baum würde ohne feministische Aktivitäten „natürlich verdorren“, müssen wir widersprechen. Solange die Wurzeln auf nährstoffreichen Boden treffen, hält sich der Baum am Leben. Wir verstehen Antifeminismus nicht als bloße Gegenbewegung zu feministischen Kämpfen, sondern als eigenständige Ideologie (vgl. Blum 2021). Antifeminismus zu bekämpfen kann daher nur gelingen, wenn der Ideologie natürlicher Ungleichheiten der Nährboden entzogen wird.
Antifeminismus, Misogynie, (Hetero-)Sexismus – Von Krone und Ästen
In Anlehnung an das entworfene Bild möchten wir die häufig synonym verwendeten Begriffe Antifeminismus, Sexismus und Misogynie/Frauenhass einordnen.
Misogynie bzw. Frauenhass beschreibt eine grundsätzliche Abwertung von Frauen, ihm liegt ein essentialistisches Verständnis von Frauen als minderwertig zugrunde (AK Fein 2019: 29). Männer gelten als überlegen und können in dieser Logik über das Verhalten und die Existenz von Frauen urteilen. Dies legitimiert auch vermeintlich die Bestrafung von Frauen mit Gewalt bis hin zu Femiziden (vgl. Höcker/Pickel/Decker 2020: 255).
Unter (Hetero-)Sexismus verstehen wir die Diskriminierung, Abwertung8 und Benachteiligung von Personen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts und/oder ihrer sexuellen Orientierung. Anschließend an Imke Schminckes (2018) Differenzierung der Begriffe betrachten wir Sexismus als Diskriminierungsform bzw. Diskriminierungspraxis, die sich direkt auf Personen bezieht und mit konkreten Handlungen verknüpft ist. Aber auch strukturelle Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts (z.B. pay gap) können als sexistisch bezeichnet werden. In einer nach wie vor patriarchal strukturierten Gesellschaft wird sexistisches Denken und Handeln im Laufe der Sozialisation internalisiert und begegnet uns – leider immer noch – alltäglich. Sexismus wird daher weitaus häufiger als „normal“ oder weniger schlimm wahrgenommen. Misogynie/Frauenhass hingegen wird zwar weitgehend gesellschaftlich verurteilt, jedoch häufig nicht wahr- und somit nicht ernst genommen als eigenständige Tatmotivation der Täter.
Misogynie/Frauenhass, (Hetero-)Sexismus und weitere Phänomene finden sich als Ideologiefragmente zusammen zu einer antifeministischen Ideologie. Antifeminismus vereint, um im Bild zu bleiben, in seiner Baumkrone verschiedene Ideologien der Ungleichwertigkeit/Ungleichheit, die zusammen eine umfassende antifeministische Ideologie bilden. Jedes der Ideologiefragmente ist ein tragender Ast unter der Baumkrone Antifeminismus, kann jedoch auch unabhängig für sich existieren und wirken. So ist beispielsweise nicht jede sexistische Einstellung oder auch Handlungsweise zwangsläufig eine antifeministische, andersherum baut Antifeminismus auf Vorstellungen von (Hetero)Sexismus auf. Unter der Baumkrone Antifeminismus finden demnach verschiedene Phänomene ihren Platz bzw. durch sie wird Antifeminismus getragen.
Ein Beispiel: Die Aussage „Männer sind für manche Berufe einfach besser geeignet als Frauen“ zeugt von einem konservativen Geschlechterbild, einem Denken in sexistischen Stereotypen. Antifeministisch formuliert könnte die Aussage in etwa so lauten: „Die Quote sorgt dafür, dass Frauen in Männerdomänen vordringen und besser qualifizierten Männern die Jobs wegnehmen“ oder auch „Feminismus verleitet Frauen dazu, sich in männliche Berufsfelder zu drängen“. Sexistisches Denken und Handeln kann sowohl unbewusst als auch bewusst und intendiert auftreten und speist sich aus erlernten Mustern. Antifeministische Verhaltensweisen überschreiten diesen „Blick auf die Welt/Gesellschaft“ und implizieren eine Handlungsoption, sie zeigen eine Richtung auf, halten am Status Quo fest oder wollen diesen zurückdrängen, sie konstruieren ein klares Feindbild: gegen „den“ Feminismus oder eben gegen Werkzeuge wie die Frauenquote als Instrument zu mehr Gleichberechtigung.
Zusammenfassend: Aufgrund ihrer gegenseitigen Bezüge und fließenden Grenzen laden die drei Begrifflichkeiten zwar zur synonymen Verwendung ein, analytisch betrachtet bewegen sie sich jedoch auf unterschiedlichen Ebenen. Antifeminismus als Ideologie fungiert als Dach/Baumkrone und richtet sich gegen feministische und gleichstellungspolitische Strukturen und strukturelle Veränderungen sowie gegen Personen, die stellvertretend für diese Strukturen stehen. Antifeminismus bildet dabei ein politisches Gesamtprogramm mit eigenem Agendasetting, in dem die verschiedenen Phänomene/tragenden Äste Platz finden. (Hetero-)Sexismus und Misogynie/Frauenhass sind Teil dieses Programms und werden teils auch als Werkzeuge im Kampf gegen feministische Strukturen verwandt. Sie bilden, in der Metapher gesprochen, die Äste und nicht die Krone.
Ausgehend von dieser Betrachtungsweise und im Anschluss an das Eisberg-Modell zu Rechtsextremismus (oben) sind es vor allem antifeministische Mobilisierungen auf der Akteursebene und Handlungspraxen, die über der Wasseroberfläche auftauchen und sichtbar werden. So könnte aus den beispielhaften antifeministischen Aussagen im Bereich des organisierten Antifeminismus eine Petition zum Ausschluss von Frauen aus bestimmten Berufen folgen, eine Demonstration organisiert werden oder eine Mobilisierung auf Social Media stattfinden.9 Die Akteurskonstellationen und die Betätigungsfelder antifeministischer AkteurInnen sind divers (weiterführend dazu: Lang/Peters 2018; Frey et al. 2014; Blum 2019).
Die Spitze des Eisberges – Wo sehen wir Antifeminismus?
Konkret zeigt sich Antifeminismus beispielsweise durch Mobilisierungen gegen Schwangerschaftsabbrüche, gegen Angebote zur sexuellen Bildung an Schulen oder auch generell in Mobilisierungen gegen (Menschen-)Rechte von queeren Menschen. Beispielhaft dafür ist die aktuelle Auseinandersetzung um das sogenannte „Transsexuellengesetz“, das hin zu einem Selbstbestimmungsgesetz verändert werden soll. AntifeministInnen, im parlamentarischen Raum u. a. in Form der AfD, stellen sich vehement dagegen. Dass extrem rechte Parteien und Gruppierungen sich antifeministisch betätigen, gründet in der (hetero-)sexistischen Ausrichtung völkischen Denkens. Die Infragestellung eindeutiger, biologisch fundierter Männlich- wie Weiblichkeitsvorstellungen im zweigeschlechtlichen Rahmen greifen extrem rechte Geschlechterpolitiken in ihren Wurzeln an. (Hermann 2020). Rein auf die Ebene extrem rechter Theorie geblickt ist die Ablehnung feministischer Anliegen und der Wunsch der Bewahrung einer vermeintlich natürlichen Geschlechterordnung fest verortet. Antifeminismus wird so zu einem Kernelement extrem rechter Ideologie. In der Praxis begegnen uns immer wieder dazu widersprüchliche Forderungen von rechten Aktivistinnen wie die nach einem „nationalen Feminismus“ des Mädelring Thüringens (2007) oder rechte Frauen und Parteien, die antisexistische Anliegen aufgreifen. In der Praxis der extremen Rechten sind diese Widersprüche lebbar und Vorstöße in diese Richtungen denkbar, wenngleich wenig beliebt bei solchen, die das völkische Denken streng auslegen. Um ihre Anschlussfähigkeit nicht gänzlich zu verlieren, müssen sich extrem rechte Gruppierungen in gewissem Maße an gesellschaftliche Veränderungen anpassen. Antisexistische Strategien können dabei zum einen als Mittel zur Gewinnung von Frauen als politische Kraft gesehen werden, andererseits sind es gerade rechte Aktivistinnen selbst, die sich bestimmte Rechte nicht mehr nehmen lassen und einen antisexistischen Umgang mit ihnen/in den eigenen Reihen einfordern. Diese sind jedoch immer in einem größeren antifeministischen und extrem rechten theoretischen Gebilde verortet. Gerade rechte Frauen nutzen ihre Position, um den ideologisch verankerten Antifeminismus zu kaschieren und verstricken berechtigte feministische Positionen in ihre rassistische Agenda.
Doch nicht jeder antifeministischen Mobilisierung liegt ein geschlossen rechtes Weltbild zugrunde. Selbsternannte MännerrechtlerInnen wenden sich beispielsweise gezielt gegen Gleichstellungsbestrebungen und -erfolge und werfen diesen eine übermäßige Bevorteilung von Frauen vor bzw. sehen Jungen und Männer als Verlierer der Gleichstellungspolitik der letzten Jahre. Antifeminismus baut immer auf Feindbilder auf, diese werden nicht immer als solche benannt, sondern teils durch den Umweg der Normsetzung, bspw. der heterosexuellen Kleinfamilie als zu beschützend, bespielt. Eine besondere Gefahr von Antifeminismus liegt genau in jener breiten Anschlussfähigkeit, in dieser „Scharnierfunktion“ wie Lang/Peters (2015) es beschreiben zwischen extrem rechten Kräften über Konservative bis hin zu einer sogenannten bürgerlichen Mitte. Auf das Thema Geschlecht bzw. vielmehr auf die Gegner_innenschaft zu Feminismus und zu Konzepten rund um Gender lässt sich bis in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein Zustimmung finden. So ist es gerade eine antifeministische Ideologie, die als „Türöffner“ (Blum 2021) in weitere antidemokratische Weltbilder hinein fungiert.
Antifeministische Mobilisierungen richten sich nicht ausschließlich gegen (privat wie beruflich) feministisch Aktive, sie haben gesamtgesellschaftliche Wirkmächtigkeit wie bspw. im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung zu sehen ist. In diesem Sinne verstehen wir antifeministische Handlungen als Botschaftstaten: Sie treffen teils Einzelpersonen, sind aber immer auch ein Angriff auf feministische Strukturen in ihrer Gesamtheit. Antifeministische AkteurInnen versuchen zukünftige Wege hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu blockieren oder gar feministische und gleichstellungspolitische Errungenschaften zurückzudrehen. So wirken AntifeministInnen darauf hin, den ohnehin verbotenen, aber zur medizinischen Grundversorgung gehörenden Schwangerschaftsabbruch zu verunmöglichen. Antifeminismus torpediert das Ziel einer offenen und gleichberechtigten Gesellschaft. Dadurch hat der Kampf gegen Antifeminismus gesamtgesellschaftliche Relevanz und betrifft uns alle – wenn auch unterschiedlich.
Plädoyer für eine analytische Schärfe der Begrifflichkeiten – Wahrnehmungen und Auswirkungen
- Antifeminismus als eigenständige Ideologie wird unsichtbar: Uns scheint, als begleite die zunehmende Thematisierung von Antifeminismus eine gewisse begriffliche Unsicherheit. Die Begriffe Antifeminismus, (Hetero-)Sexismus und Misogynie/Frauenhass (oder auch weitere Phänomene) werden synonym zueinander verwendet und Antifeminismus als eigenständige Ideologie dadurch verkannt. Darüber hinaus ist die synonyme Verwendung der Begriffe (Hetero-)Sexismus, Frauenhass/Misogynie und Antifeminismus einerseits analytisch nicht treffend, andererseits birgt eine fehlende Trennschärfe die Gefahr der Verwässerung einzelner Phänomenbereiche. In der Konsequenz lassen sich insbesondere organisierte und explizit antifeministisch agierende AkteurInnen schwierig(er) abgrenzen und folgend analysieren.
- Die Grenzen zwischen (Hetero-)Sexismus und Antifeminismus sind fließend:Gleichzeitig ist klar, die Unterteilung in Antifeminismus, der sich gegen feministische Strukturen und stellvertretend für diese stehenden Personen richtet, und Sexismus als Diskriminierungspraxis (auch in seiner strukturellen Form), ist fließend. Insbesondere weil Antifeminismus seine Wirkung auf Basis eines gesellschaftlich fest verankerten strukturellen (Hetero-)Sexismus entfalten kann. Bei all den Unschärfen und fließenden Übergängen plädieren wir dennoch für eine analytische Schärfe der Begrifflichkeiten.
- Undifferenzierte Nutzung: Aus der Gleichsetzung der Begriffe resultiert zudem eine undifferenzierte Nutzung, wenn etwa sexistische Aussagen/Handlungen/Praktiken undifferenziert als antifeministische bezeichnet werden. Uns ist es außerdem wichtig, an dieser Stelle klarzustellen: Nicht jede Kritik an feministischen Forderungen, Strukturen oder Maßnahmen – auch wenn wir sie vielleicht nicht teilen – ist als antifeministischer Akt zu verstehen (Blum 2019: 14). „Der“ Feminismus wird von gegnerischen Stimmen als Einheitskonstrukt dargestellt, in Wahrheit existieren viele verschiedene feministische Strömungen und Diskurse. Gerade innerhalb feministischer Debatten sollten verschiedene Positionen und Ambivalenzen ausgehalten und Konflikte kritisch solidarisch ausgetragen werden. Wichtig ist dabei, gesellschaftliche Machtverhältnisse im Blick zu haben und nicht in exklusive Forderungen zu münden. Auch Menschen, die nicht alle feministischen Entwicklungen der letzten Jahre befürworten, sind nicht zwangsläufig (organisierte) AntifeministInnen. Wenn jedoch Existenzen von Menschen infrage gestellt und relativiert werden, sind Grenzen einer (feministischen) Debatte überschritten. Die nach wie vor zu beobachtende gesellschaftliche Inakzeptanz mancher feministisch geprägter Entwicklungen fungiert als Steigbügelhalter für manifeste antifeministische Einstellungen und Mobilisierungen.
Auswirkungen auf die politische Bildungsarbeit und Beratung im Feld Antifeminismus
- Die Beschäftigung mit Antifeminismus lässt sich nicht auf eins der Teilelemente reduzieren: Durch die Gleichsetzung von Antifeminismus und (Hetero-)Sexismus entsteht der Eindruck, die Arbeit zu Antifeminismus beinhalte in erster Linie präventive wie intervenierende Maßnahmen gegen Sexismus. Tatsächlich halten wir eine geschlechterreflektierte Bildungsarbeit und Erziehung für eine wichtige Prävention gegen antifeministische, extrem rechte und verschwörungsideologische Mobilisierungen, auch weil hier – bezugnehmend auf unser Bild – einzelne Äste und der Stamm kritisch hinterfragt und angegriffen werden. Jedoch kann von Expert_innen, die primär zu Antifeminismus arbeiten, nicht erwartet werden, gleichzeitig einen großen Bedarf an sexismuskritischer Präventionsarbeit – die es ebenso dringend brauchen würde – abzudecken.
- Eine begriffliche Differenzierung kann den Auf- und Ausbau von Bildungs- und Beratungsangeboten unterstützen und fördern: Antifeministische Angriffe treffen häufig feministische Strukturen, Organisationen und Parteien sowie Einzelpersonen, die feministische Politik voranbringen. Betroffene dieser Mobilisierungen benötigen Unterstützungsangebote, Beratung10 und auch ein Monitoring der Vorfälle. Durch eine begriffliche Schärfung von Antifeminismus kann ein inhaltlicher Rahmen für Projekte und Beratungsangebote gesetzt werden. So benötigen Betroffene, die konkret von (Hetero-)Sexismus betroffen sind, andere Beratungsstrukturen (bspw. rechtliche Beratung, Räume der Selbstermächtigung) als Personen, die (Hetero-)Sexismus als Teil eines antifeministischen Angriffs erleben. Die Handlungsmöglichkeiten und Konsequenzen sind in beiden Fällen unterschiedliche. Beratungsinstitutionen sind hier verschiedentlich gefordert und so sind auch diverse Beratungsangebote sinnvoll.
Wir fordern daher: Neben sexismuskritischen, feministischen und stärkenden Angeboten für FLINTA*11, die selbst ausbaufähig sind, zusätzlich mehr Bildungs- und Beratungsarbeit konkret im Feld Antifeminismus. Wir fordern eine verstärkte Setzung des Themas Antifeminismus im Bereich der politischen Bildungsarbeit und den Ausbau und die Förderung bestehender Beratungsstrukturen im Themenfeld, sodass von antifeministischen Angriffen Betroffene eine qualifizierte Beratung und Begleitung erhalten.
Zusammenfassend:
Eine klare Definition oder gegensätzlich ein schwammiges Verständnis von Antifeminismus auf der Analyseebene hat Auswirkungen auf die praktische Arbeit im Feld. Für uns, die wir in der politischen Bildungsarbeit, der Beratung oder auch wissenschaftlich zum Thema arbeiten, ist es wichtig und notwendig, eine klare Vorstellung von antifeministischer Ideologie zu haben, um sie zu begreifen und um sie begreifbar zu machen für andere. Eine unscharfe Verwendung und Gleichsetzung der im Text besprochenen Begrifflichkeiten, allen vorweg die Gleichsetzung von (Hetero-)Sexismus und Antifeminismus, verengt nicht nur den Blick auf Antifeminismus als Ideologie, auch die Ideologieelemente für sich und als eigenständige Diskriminierungsformen verlieren dadurch an Kontur, und eine Diskussion um konkrete und passgenaue Handlungsmöglichkeiten wird erschwert.
Wir freuen uns über rege Diskussion des Impulspapiers, Anknüpfungen und weiterführende Gedanken und hoffen mit unserem Aufschlag zur begrifflichen Schärfung beizutragen.
Zitationsempfehlung: femPI et al. (2022): Antifeminismus – Plädoyer für eine analytische Schärfe. Impulspapier. Online verfügbar unter: https://fempinetzwerk.files.wordpress.com/2022/07/antifeminismus_pladoyer-fur-eine-analytische-scharfe.pdf
Bei Rückfragen, Austauschwünschen und Anmerkungen sind wir unter folgender Mail-Adresse zu erreichen: fempi@systemli.org.
1 Die Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ verbindet Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus. In ihr wird die Existenz eines geheimen Plans behauptet, durch den eine als homogen und weiß konstruierte (einheimische) Bevölkerung durch Menschen insbesondere aus sogenannten islamischen Ländern unterwandert und „ausgetauscht“ werden soll. Mittel zur Durchsetzung dieses Plans seien angeblich sinkende Geburtenraten in westlichen/europäischen Ländern und gezielte Einwanderung. Frauen und insbesondere „dem“ Feminismus wird vorgeworfen, für diese niedrige Geburtenrate verantwortlich zu sein. Hinter dieser Erzählung stehen je nach Variante und Ausprägung antisemitische Feindbilder wie die „Vereinten Nationen“, „Globalisten“, „die Eliten“ oder ganz unverhohlen: „die Juden“ (vgl. Haas 2020: 6).
2 Wir nutzen im Artikel verschiedene geschlechtergerechte Sprachvarianten. Grundsätzlich nutzen wir den Unterstrich, um Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit einzuschließen. Da Antifeminismus auf der Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit aufbaut, nutzen wir für AkteurInnen aus diesem Spektrum die zweigeschlechtliche Schreibweise mit Binnen-I. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit antifeministisch oder extrem rechts sein können.
3 „Die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung geben Auskunft über die Verbreitung, Entwicklung und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen in Deutschland. Seit 2006 gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) etwa alle zwei Jahre eine neue Ausgabe der „FES-Mitte-Studie“ heraus.“ (zur gesamten Studie: https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2021)
4Wir bedanken uns an dieser Stelle für die Unterstützung bei der Illustration!
5 Um das Ziel des Impulspapiers, an einer begrifflichen Schärfung zu arbeiten, nicht aus dem Blick zu verlieren, können wir an dieser Stelle ausführliche Gedanken zur Entwicklung und Entstehung dieses Glaubenssystems im Kontext einer bürgerlich-kapitalistischen Ordnung nicht behandeln. Wir werden dies an anderer Stelle weiterdenken und freuen uns über Überlegungen und Debattenbeiträge in der Analyse.
6 Gisela Notz beschreibt Familismus als Ideologie, die die bürgerliche Kleinfamilie als Leitform betrachtet. Die Familie (Vater-Mutter-Kinder) ist in familistischen Gesellschaften der Dreh- und Angelpunkt aller sozialer Organisation. Im Privaten herrscht traditionelle Rollenverteilung (Notz 2015: 16).
7 Die Aufzählung der Ausprägungen bleibt notwendig unvollständig.
8 Neben einer feindseligen Abwertung gibt es auch eine wohlwollende Form der Abwertung, indem z.B. Frauen als schwache, stets schutzbedürftige Personen betrachtet werden oder ihnen technische oder handwerkliche Kompetenzen grundsätzlich nicht zugetraut und deswegen ungefragt abgenommen werden (vgl. Becker 2014).
9 Auch in diesem vereinfachten Beispiel ist die Unschärfe der Begrifflichkeiten sichtbar: Die wiederholte Konfrontation mit sexistischen Stereotypen kann auch ohne ein gesetzliches Verbot von Frauen in bestimmten Berufen eben jene davon abhalten, in klassischen Männerberufen zu arbeiten. So können auch sexistische Äußerungen in ihrer stetigen Wiederholung zu antifeministischen Ergebnissen führen.
10 Ansprechbar ist beispielsweise die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in den jeweiligen Bundesländern: https://www.bundesverband-mobile-beratung.de/.
11 Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans* und agender Personen
Literatur
AK Fe.In (2019): Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt, Berlin: Verbrecher Verlag.
Becker, Julia C. (2014): Subtile Erscheinungsformen von Sexismus. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/178674/subtile-erscheinungsformen-von-sexismus/.
Blum, Rebekka (2021): Historische Kontinuitäten und Brüche im deutschen Antifeminismus. Online verfügbar unter: https://www.gender-blog.de/beitrag/antifeminismus-deutschland-kontinuitaeten-brueche.
Blum, Rebekka (2019): Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Hamburg: Marta Press.
Frey, Regina/Gärtner, Marc/Köhnen, Manfred/Scheele, Sebastian (2014): Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung. Online verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/gender_wissenschaftlichkeit_ideologie_2.auflage.pdf.
Haas, Julia (2020): Antifeminismus und seine Rolle in der neurechten Erzählung des „Großen Austauschs“, in: Überblick – Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für
Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen, 01/2020. Online verfügbar unter: https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick012020.pdf.
Hermann, Melanie (2020): Antimoderner Abwehrkampf – zum Zusammenhang von Antisemitismus und Antifeminismus. Online verfügbar unter: https://www.idz-jena.de/pubdet/wsd7-4.
Höcker, Charlotte/Pickel, Gert/Decker, Oliver (2020): Antifeminismus – das Geschlecht im Autoritarismus? Die Messung von Antifeminismus und Sexismus in Deutschland auf der Einstellungsebene, in O. Decker/E. Brähler (Hrsg.): Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie 2020 (S. 249-282). Online verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2021-04/Decker-Braehler-2020-Autoritaere-Dynamiken-Leipziger-Autoritarismus-Studie_korr.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie.
Kiess, Johannes/Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2015): Was ist eine rechtsextreme Einstellung, und woraus besteht sie? Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/198945/was-ist-eine-rechtsextreme-einstellung-und-woraus-besteht-sie/.
Küpper, Beate/Zick, Andreas/Rump, Maike (2021): Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte 2020/21. In F. Schröter/Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21 (S. 75-107). Online verfügbar unter: https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=65478&token=d51fbf0ad16a903133c9dcb54e4e5d58382d096f.
Lang, Juliane/Peters, Ulrich (2015): Antifeministische Geschlechter- und Familienpolitiken von Rechts. Online verfügbar unter: https://hamburg.arbeitundleben.de/img/daten/D281485360.pdf.
Lang, Juliane/Peters, Ulrich (2018): Antifeminismus in Bewegung: aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press.
Lang, Juliane/Fritzsche, Christoph (2018): Backlash, neoreaktionäre Politiken oder Antifeminismus? Forschende Perspektiven auf aktuelle Debatten um Geschlecht. In: feministische studien, 36, Heft 2, S. 335–346.
Notz, Gisela (2015): Kritik des Familismus: Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Schmincke, Imke (2018): Frauenfeindlich, sexistisch, antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/267942/frauenfeindlich-sexistisch-antifeministisch/.